Frauen haben ein dreifach höheres Risiko als Männer, an Multipler Sklerose zu erkranken. Multiple Sklerose (MS) ist die am weitesten verbreitete Autoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft und durch den Verlust der schützenden Myelinscheiden gekennzeichnet ist. Dennoch zeigen Männer mit MS eine stärkere Schädigung der Nervenfasern und sogar höhere Raten von Behinderungen und Sterblichkeit. Signalkaskaden von Immunzellen und Gliazellen scheinen dabei eine besondere Rolle zu spielen. Aber die genauen Ursachen der MS sind noch unbekannt. Ein weiteres Beispiel: Ein plötzlicher, sehr starker Schmerz im Brustkorb, der auch in den linken Arm ausstrahlt: Wenn ein Mann diese Symptome spürt, heißt es, sofort den Notarzt zu rufen. Denn es könnte ein Herzinfarkt sein. Bei einer Frau sieht die Sache etwas diffuser aus. Bei einem Herzinfarkt leiden sie häufiger an unspezifischen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Atemnot und Schmerzen im Oberbauch.
Auch in der Corona-Pandemie stellten sich geschlechtsspezifische Unterschiede heraus. Männer sterben häufiger an Corona als Frauen, wenn sie einen schweren Verlauf haben. Frauen leiden dann im Vergleich zu Männern häufiger an Osteoporose, Depressionen und diversen Auto-Immunerkrankungen. Dies sind nur wenige Beispiele für Krankheitsphänomene, die sich bei Männern und Frauen unterschiedlich zeigen. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.
Das Bewusstsein dafür, dass Männer und Frauen unterschiedliche Symptome aufweisen können und unterschiedlich auf Medikamente reagieren, ist in der Medizin inzwischen vorhanden. Die Forschung dazu steht jedoch noch am Anfang. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität des Saarlandes möchten dies in Zukunft ändern. Auf Initiative des Dekans der Medizinischen Fakultät, Professor Michael Menger, sowie der Professorin Sandra Iden und den Professoren Frank Kirchhoff und Ulrich Boehm wurde nun die Gründung des „Centrums für geschlechtsspezifische Biologie und Medizin“, kurz CGBM, vom Präsidium der Universität in dessen Sitzung vom 14. September 2023 beschlossen.
„Die Grundidee dahinter ist, dass wir die herausragende Expertise auf dem Gebiet der zellulären Signalverarbeitung, die an der Universität des Saarlandes über Jahrzehnte aufgebaut wurde, in einem Zentrum bündeln, um auf dieser Grundlage die Mechanismen von geschlechtsabhängigen Krankheitsverläufen zu untersuchen“, erläutert Professor Frank Kirchhoff. Krankheiten, so der Professor für Molekulare Physiologie, entstehen selten in einem einzigen Organ. Meist spielen mehrere Organe, die miteinander auf zellulärer Ebene kommunizieren, eine Rolle bei solchen Krankheiten. „Solche Komorbiditäten und deren geschlechtsspezifische Unterschiede und Pathomechanismen stehen im Mittelpunkt der Forschung, die wir am Centrum für geschlechtsspezifische Biologie und Medizin genauer untersuchen möchten“, unterstreicht Sandra Iden, Professorin für Zell- und Entwicklungsbiologie an der Universität des Saarlandes.
Universitätspräsident Manfred Schmitt geht auf die übergeordnete Bedeutung des Centrums ein und betont: „Vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen, höchst erfolgreichen Grundlagenforschung auf dem Gebiet der molekularen Signalverarbeitung ist die nunmehr erfolgte Gründung eines Centrums für geschlechtsspezifische Biologie und Medizin ein weiterer wichtiger und konsequenter Schritt, den universitären NanoBioMed-Schwerpunkt auch in diesem Wissenschaftsbereich weiter zu konturieren und in seiner Sichtbarkeit zu stärken.“
„Die Medizinische Fakultät in Homburg wird mit dem Centrum für geschlechtsspezifische Biologie und Medizin innerhalb der UdS selbst sichtbarer werden. Aber auch außerhalb unserer Universität wird der Campus Homburg im Reigen der medizinführenden Hochschulen und Forschungseinrichtungen deutlich präsenter sein. Denn dieses bedeutende Themenfeld ist bisher kaum auf institutionelle Füße gestellt, so dass wir mit dem CGBM eine echte Chance haben, national und international zum Vorreiter auf diesem Gebiet zu werden“, so der Dekan der Medizinischen Fakultät, Professor Michael Menger.
„Die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau spielen bei vielen Krankheiten eine bedeutende Rolle. Diese Unterschiede können Häufigkeit und Verlauf der Erkrankung betreffen, Diagnose und Therapie. Vielfach steht die Erforschung der tieferen Gründe für diese Unterschiede noch in den Kinderschuhen. Mit ihrer profunden Expertise im Bereich der molekularen Signalverarbeitung kann die Universität des Saarlands einen wichtigen Beitrag leisten, das zu ändern. Die Aussicht auf rasanten wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt im neuen Centrum für geschlechtsspezifische Biologie und Medizin ‚made in Saarland‘ begeistert mich“, erklärt Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker.
Mittelfristig sollen im CGBM mehr als 150 Personen in Forschung und Entwicklung arbeiten und damit einen wichtigen Beitrag für den Strukturwandel im Saarland leisten. „Ein verbessertes Verständnis der Mechanismen von Krankheitsentstehungen wird zu einem Innovationsschub für Arzneimittel und Therapien, die auf der Basis spezifischer Erkrankungsmechanismen von Patientinnen und Patienten optimiert entwickelt werden können. Aus diesen Innovationen heraus entsteht ein großes Potential zur Gründung von Start-ups“, sagt Frank Kirchhoff über die Zukunftsperspektive, die mit dem CGBM verknüpft ist.
Kontakt:
Prof. Dr. Frank Kirchhoff
+49 6841 16 - 16440
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Webseite: www.uni-saarland.de/cgbm